Über die Bilder.

 

 

Wer zu einer Ausstellung eingeladen wird, wer einen Katalog in den Händen hält, ist geneigt, Kunstwerke und einen Künstler zu erwarten. Doch die Bilder, die hier gezeigt werden, wollen nicht als Kunstwerke verstanden werden – der Fotograf auch nicht als Künstler.

Die Bilder sind vielmehr ein Anstoß, in einer Zeit der Überflutung mit visuellen Reizen von der Gewohnheit des Übersehens und des oberflächlichen Wahrnehmens abzulassen. Sie sind Anreiz, inne zu halten, das Mehr, das Überraschende und das Unvertraute hinter dem Vertrauten des ersten Anscheins zu erkennen, die Bilder im Ganzen und in ihren Details aufzunehmen und zu lesen: Sie sind eine Einladung zum Sehen, mit anderen Augen die Welt wahrzunehmen. Die Vorlage liefert die Natur, die tatsächliche Künstlerin – der Fotograf ist nur deren Mittler.

Und danach sind die Bilder ausgesucht. Sie entstanden auf Reisen in Mittel- und Südamerika aber auch in Europa. es waren Reisen mit einem kleinen Segelboot, zu Fuß, per Fahrrad, Bus oder Jeep. Die Bilder stammen allesamt von Plätzen, wo nicht jeder Reisende des Weges kommt. Und selbst dort, wo Massentourismus herrscht, so z. B. auf Ibiza, sind es Orte, an denen nur selten ein Mensch hin gelangt. Unter den fast 16.000 Bildern von diesen Reisen wurden diejenigen ausgewählt, die etwas Besonderes mitbringen – hinter dem ersten Anblick des Vertrauten.

Es sind Bilder, die mit anderen Augen gesehen werden wollen. Alle Bilder zeigen schöne Farben und mutige Formen. Sie erscheinen auf den ersten Blick vertraut – Reisefotografien, die vielleicht jeder andere hätte aufnehmen können. Doch hinter diesem tritt beim zweiten Blick etwas hervor, was doch so ganz anders ist, als das Gewohnte, gar Gewöhnliche.

Es regt an, noch einmal hinzuschauen, noch ein weiteres Mal und dann immer wieder – und je länger, desto mehr ziehen die Bilder den Betrachter an sich, laden zum Lesen, zum Erkennen, zum Verstehen, zum Denken ein – jedes Bild auf seine eigene Weise.

 

Das Bild „Karibik“ greift das Klischee des Traums von der einsamen Insel auf – wie der Fototapete der 70er Jahre. Doch die Parkbank in der Einsamkeit zeigt uns wie ein Zitat, dass wir die exotische Ursprünglichkeit suchen, aber das bei allem uns gewohnten Komfort – was wiederum die Ursprünglichkeit zerstört.

„Winaywayna“ zeigt ästhetische Linienstrukturen an einem grünen Hang. Doch erst bei näherem Hinsehen offenbart sich die Dimension einer Inka-Siedlung und mit ihr die gewaltige Leistung und Genialität, die in den steilen Terrassen erkennbar wird. Gebaut von Menschen zu einer Zeit, in der Europäer schon viel geringere Leistungen als Weltwunder feierten – was wir Heute nur zu oft vergessen.

„Himmel über Uyuni“ zeigt erst auf den zweiten Blick beeindruckende Dimensionen – und auch nicht von Menschenhand: Was sich da als braun-graue Hügel zwischen den weißen Boden und den Himmel schiebt, sind Fünf- bis Sechstausender und das Salz des Uyuni-Sees sehen wir hier über einhundert Kilometer.

Die Bilderserie „Inseln im Beagle“ zeigt Eilande im Kanal nördlich von Kap Horn. Jedes von ihnen wird am Abend einzeln nacheinander von der Abendsonne beschienen – ein schönes Gleichnis auf das eigene Leben.

Ähnliche Lichtspiele lassen beim „Pia Gletscher“ – ebenso am Ende der Welt – jede Bergflanke anders erscheinen, mal anziehend, mal erschreckend, aber immer Neugier erzeugend.

Erst beim zweiten Blick auf die Serie „Begegnung“ wird deutlich, dass die Felsen im aufgewühlten Wasser nördlich von Kap Horn über und über mit Möwen und Pinguinen bevölkert sind, als ob es ihre letzte Zuflucht sei.

 

Wie gemalt sitzen sie auf den Steinen, gebeugt vom Wind und im Schein des Lichtes, das sich durch die tief hängenden Wolken seinen Weg bahnt. Um sie herum das Wasser, dessen Unerbittlichkeit fast latent durch die Farben vermittelt wird und den Betrachter geradezu in sich hineinzieht. Jedes Bild ist ein spürbares, erbarmungsloses Naturschauspiel von Wind, Wasser, Licht und Wolken.

„Familientreffen“ legt in humoriger, dann aber bedrückender Weise offen, wie ähnlich sich Mensch und Tier sein können. Geradezu drapiert zeigen sich die Kühe auf der Alm, erheiternd und vertraut, erinnern sie doch erstaunlich an die gestellten Bilder von Besuchern auf Familientreffen und Feiern, Bergsteigern auf dem Gipfel und Soldaten im amerikanischen Bürgerkrieg.

„Bucht“ zeigt einen Ort auf Ibiza, an dem – kaum zu glauben – selten ein Mensch anzutreffen ist. Nahezu gerade nach unten fotografiert, vermittelt es dem Betrachter je nach Sicht von einer der Seiten eine immer andere Höhe über dem Geschehen - erst direkt am Felsenrand, dann mit dem Gefühl, in einem Helikopter zu schweben bis hin zum großen Abstand aus dem Himmel.

Dies hier sind hier nur Beispiele dafür, wie die Bilder erschlossen werden können. Jeder Betrachter wird aber seine eigenen Erfahrungen, Emotionen und Gedanken in sie hineinlegen. Also doch Kunst? Denn folgen wir Umberto Eco, der in seinem „Das offene Kunstwerk“ postuliert, dass Kunst nicht durch den Künstler, sondern durch den Rezipienten des Werkes entsteht, sind es die Rezipienten der Bilder, die diese zu Kunst werden lassen. Und so ist es an den Betrachtern, sie mit anderen Augen zu betrachten.

Es ist in diesem Sinne: Eine Einladung zum Sehen.